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#82 Wie wir besser mit ungefragten ratSCHLÄGEN umgehen können

ratSCHLÄGE überfallen uns meistens dann, wenn wir gar nicht damit rechnen. So wie an diesem wunderschönen, sonnigen Tag, als ich nichtsahnend vor der Schule meiner Tochter stand um sie abzuholen, als plötzlich eine Mutter vor dem Schulgebäude zu mir meint:

„Ich hab da so ein tolles Buch gelesen mit dem man mühelos und schnell abnehmen kann – das wäre auch wirklich was für dich.“

„BÄM!!“ Wie ein Sandsack trifft mich dieser Ratschlag am Kopf. „Ja, durch Corona haben wir ja alle etwas zugenommen, plaudert sie munter weiter. Ich auch!“ Noch benebelt von dem Volltreffer, den sie gerade eben gelandet hatte, schweifen meine Augen über ihren sehr schlanken Körper. „Konfektionsgröße 36 maximal 38“ flüstert meine innere Stimme mir zu.

„Ja und ich dachte mir, es wäre jetzt mal wirklich Zeit gegenzusteuern.“ flötet sie weiter „Dieses Buch ist wirklich toll, weißt du ich kenne das man sitzt nur zu Hause, bewegt sich zu wenig, isst zu viel Süßigkeiten und Fast Food und ehe man sich versieht, geht man auseinander wie ein Krapfen, hihi.“

Ich spüre wie diverse Gefühle in mir hochsteigen: Wut, Verletzung, Ohnmacht, Trauer. Trotzdem nicke ich lautlos und versuche interessiert zu wirken. Und das macht mich noch wütender … Ich atme innerlich richtiggehend auf, als die Kinder aus der Schule stürmen und meine Tochter mir um den Hals fällt. „Nur weg hier und nach Hause!“ denke ich mir und sage zu ihr „Schatz, wir gehen jetzt schnell nach Hause, auf mich wartet noch eine Telefonkonferenz.“ Leider haben die ratschlaggebende Mutter, ihre Tochter und wir denselben Heimweg, zumindest eine kleine Strecke lang. Wir setzen uns in Bewegung und sie fängt wieder damit an: „Ich habe das jetzt wirklich 2 Wochen lang ausprobiert, was in diesem Buch steht und es klappt! Ich habe super damit abgenommen – probier das mal!“ Endlich sind wir an dem Punkt, an dem sich unsere Wege trennen angelangt „Mach ich!“ rufe ich ihr zu und haste schnellen Schrittes mit meiner Tochter an der Hand zu unserer Wohnung.

Zu Hause angekommen zieht sich meine Tochter in ihr Zimmer zurück. Mein Mann ist zu Hause – ich setze mich auf den Lesesessel ins Wohnzimmer und atme und fühle. Fast bleibt mir die Luft weg bei dem Gedanken wie ich stillschweigend diese Grenzüberschreitung und den Übergriff ertragen hatte. „Was ist denn los?“ fragt mein Mann. Da bricht es aus mir heraus:

„Ich könnte explodieren!“, brülle ich. „Die Mama von P. hat mir gerade Abnehmtipps gegeben und mich damit bequatscht, dass dieses Buch das sie da gelesen hat auch super für mich wäre. Was bildet die sich eigentlich ein?.“

„Oh nein!“ sagt mein Mann „Das gibt es ja nicht.“ ER – der 25 Jahre mit mir zusammen ist – kennt natürlich alle Hintergründe, welche die Mutter der Schulfreundin meiner Tochter nicht kennt. Er weiß, dass ich was mein Gewicht betrifft, schwer traumatisiert bin, dass ich meine erste Diät mit 8 Jahren gemacht und für meine Abnahme damals ein besonderes Federpenal bekommen habe. Dass bis zum Alter von 14 Jahren ständiges Wiegen, Diäten etc. zu meinem Alltag gehörten. Dass ich mit 14 Jahren eine massive Essstörung entwickelt hatte und letztendlich mein mangelndes Körperbewusstsein dazu geführt hat, dass ich nicht einmal versucht hatte, meinen Traum Musicalsängerin zu werden in die Tat umzusetzen. Mir wurde damals gesagt: „Mit dieser Figur besser Oper“. Wenn ich heute die Fotos von damals sehe, kann ich das zwar nicht nachvollziehen, aber bitte. Die Mutter der Schulfreundin meiner Tochter weiß auch nicht, dass ich die letzten 20 Jahre damit verbracht habe, irgendwie aus dem ständigen Kreislauf von Selbsthass, Ablehnung, Abnahme, Zunahme, etc. auszusteigen und glücklich und dankbar bin es geschafft zu haben. Dass ich seit ein paar Jahren auf einem sehr gesunden Weg bin, meinen Körper anzunehmen wie er ist und die Heilung Stück für Stück voranschreitet. Sie weiß natürlich auch nicht, dass ratSCHLÄGE wie diese vor der Schule so unfassbar viel in mir triggern und auslösen. Das kann sie nicht wissen. Und hier kommen wir zum nächsten Punkt. Wie du vielleicht weißt, wenn du meine Impulse schon länger hörst, bin ich ein Fan von Selbstverantwortung.

Das ist auch der Grund, warum ich im Laufe des Gesprächs mit meinem Mann im Lesesessel sitzend, in Tränen ausgebrochen bin: „Ich war so wütend, aber ich habe nichts gesagt! Nur zustimmend genickt. Ich flippe fast aus, wenn ich daran denke, wie ich mich verhalten habe.“ Ab diesem Zeitpunkt war mir klar: Noch weniger als die Worte der Mutter über das tolle Abnehmbuch hatte mich verletzt, dass ich sie nicht in die Schranken gewiesen habe. Dass ich ihr nicht gesagt habe, dass ich mich für den Tipp bedanke, aber ich derzeit keine Diät machen möchte.

Gerade bei Themen, die uns sehr triggern, fällt es uns aber besonders schwer, weil wir bei ihnen gerne in unserer kindliches Verhalten zurückfallen. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, kann ich regelrecht spüren, wie ich bei jedem ihrer Worte innerlich immer kleiner und kleiner wurde. DAS war es, was mich am meisten wütend und emotional gemacht hat.

Was können wir also stattdessen tun:

  • Wir können nicht die anderen ändern, wir können nur uns selbst ändern. Das heißt: Du wirst immer wieder mit ungebetenen Ratschlägen konfrontiert werden. Auch wenn wir uns in vielen Fällen mehr Empathie wünschen, wird das vermutlich nicht immer der Fall sein.
  • Gib Ratschläge (auch die ungebetenen) in eine Art „Körberl“. Du nimmst dir nur das heraus was du gerade brauchst und sich für dich richtig und stimmig anfühlt.
  • Wird ein Ratschlag zu einem ratSCHLAG für dich, ist es deine Aufgabe ganz klar „Stopp“ zu sagen, wenn es verletzend und grenzüberschreitend wird. „Danke, aber ich mache das lieber anders.“ „Danke, aber ich möchte das jetzt nicht.“ „Danke, das passt für dich, aber nicht für mich.“
  • Wenn die „Klarstellung“ dir noch sehr schwerfällt, dann kannst du immer noch „flüchten“. Das heißt: Finde eine Möglichkeit, um aus der Situation auszusteigen. Ist sicherlich nicht die optimale Variante, aber besser als sich das Ganze stillschweigend anzuhören.

Wenn du all das trotz der guten Vorsätze nicht schaffst (wie ich in meiner Situation) dann gehe besonders liebevoll und verständnisvoll mit dir um. Ich finde ja, dass wir schon stolz darauf sein dürfen, wenn es uns überhaupt auffällt. Dann gesund zu reagieren ist ein weiterer Schritt, den wir ja beim nächsten Mal wieder versuchen können. Denn wie gesagt, der nächste Ratschlag kommt bestimmt …

Aber auch wir selbst dürfen uns bei der Nase nehmen: Eine liebe Wegbegleiterin, die leider schon verstorben ist, hat mir vor vielen Jahren mal gesagt:

„Karin, host gfrogt?“ also „Karin, hast du gefragt, ob dein Gegenüber überhaupt ein Feedback, einen Ratschlag oder einen Tipp überhaupt haben möchte?“

Diese Aussage hat mich unglaublich geprägt und hilft mir in meiner Selbstreflexion. Immer wenn ich selbst Tipps und Ratschläge verteilen möchte ist mir Patricia im Ohr: „Host gfrogt?“ und wenn ich nicht gefragt habe, ob es gewünscht ist meine Weisheiten zu verteilen, dann hole ich das schleunigst nach!

Vielleicht denkst du dir jetzt: „Ja, Karin, aber die Mutter der Schulkollegin deiner Tochter hat es vermutlich ja nur gut gemeint“. In Kärnten gibt es einen Spruch: „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.“ Ich finde „gut gemeint“ sollten wir vergessen – denn ratSCHLÄGE, die wir ungebeten austeilen werden immer ratSCHLÄGE bleiben und nie zu dem werden, was wir mit ihnen erreichen möchten: Nämlich wohlwollend und in der besten Absicht unser Wissen weiterzugeben, damit der oder die anderen vielleicht davon profitieren können.

Wenn du Begleitung dabei brauchst, dann mach dir gerne in kostenloses Erstgespräch aus!

Alles Liebe,
Karin

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