„Entschuldigung Schatz, ich bin etwas weiter oben!“, sagte ich zu meinem Mann, nachdem ich ihm fünfundzwanzig Minuten lang aufgeregt erzählt hatte, wie sehr mich die Dame im Supermarkt ärgerte, weil sie angespannt auf den Trotz unserer Kleinen reagiert hatte. So perplex von der Art der guten Frau, dass ich in Schnappatmung geriet, dauerte es etwas, bis ich merkte, dass mein Gatte wohl kein einziges meiner Worte aufzunehmen schien.
„Ach ja, ich verstehe schon. Natürlich sehe ich es ganz genauso. Hast du denn gar keinen BH an? Irgendwie sieht man deine Brustwarzen.“ Ich war baff. Mir quillte quasi der Frust aus dem Innersten meiner Seele, über all die unangebrachten Kommentare zum Launenstatus unserer Kinder, und er fragte mich doch tatsächlich, ob ich denn nackt unter meinem Shirt war.
„Hast du denn gar keinen BH an?“
Mal um drei Jahre zurückgespult. Ich bekam meine zweite Tochter. Ich liebe sie, keine Frage. Aber ich habe achtzehn Monate lang gestillt und ich hatte sie Tag und Nacht – Leute, ich meine wortwörtlich Tag und Nacht – an mir klebend, wie ein Oktopus am Felsen, der befürchtet, vom nächst vorbeitauchenden Menschen mit Harpune, erkannt und abgeschleppt zu werden. Es gab Phasen, in denen mein Körper mit dem ihrigen verschmolz und ich versuchte, mich zumindest daran zu erinnern, irgendwann mal, in längst vergangenen Zeiten, einen eigenen Körper gehabt zu haben.
Brüste! Ich hatte früher mal Brüste, die ganz und gar mir gehörten! Ich musste mir das als Mantra vorsagen, um nicht vollkommen zu vergessen, ein eigenständiger Mensch zu sein. Nun ja. So geht es vielen von uns Müttern und irgendwie vermissen wir es dann doch, wenn diese kleinen Oktopusse im Kindergarten eingewöhnt sind und plötzlich nicht mehr ihre kleinen feinen Händchen in unseren Wollpulli stecken.
Brüste! Ich hatte früher mal Brüste, die ganz und gar mir gehörten!
Doch dieses verlorengegangene Gefühl der physischen Freiheit wuchs in mir und als wir nach knappen zwei Jahren abgestillt hatten (Ja, ich gebe zu, ein Auge weinte verzweifelt, während die andere Seite meines Gesichtes kreischend „Juhuuuuu!“ schrie, irgendwie à la Harvey Two Face), zog ich mir meinen BH an und musste den ganzen Tag daran herumzupfen. Er saß perfekt, daran lag es nicht. Aber er vermittelte mir das Gefühl, wieder gebunden zu sein. Gefangen in einem Fremdkörper, der sich meines Körpers jeglicher Macht beraubte, mich fest umschlang und mir so viel CO2 nahm, dass ich zu hyperventilieren drohte.
Nachdem ich mich also beruhigt hatte und meinem Bewusstsein zu erklären versuchte, dass „sich dies als Frau so gehört und man BHs eben trägt“, schüttelte ich parallel dazu meinen Kopf und sagte dieser Gewohnheit den Kampf an. Warum sollte ich bitte zwei Stoffkörbchen um meine Brüste tragen, wenn sich dies für mich nicht gut anfühlte?
Also begann ich keinen mehr zu tragen. Wie an diesem oben besagten Tag, an dem meinem Mann im Supermarkt meine BH-losigkeit auffiel. Meine Entscheidung war noch nicht lange her und ich hatte wohl bis zu diesem Zeitpunkt kein Shirt getragen, an dem man es zu erkennen vermochte. Nun also waren wir so weit. Thema der Gespräche für die nächsten Wochen: meine Brustwarzen, ab und an auch mal mein Vorhof.
Ich betrachtete mich also seitdem an jedem Morgen im Spiegel, äußerst genau in der Oberkörper-Gegend, und forderte meine Warzen nahezu heraus, mir zu vermitteln, ob sie sich nun zeigen wollten oder etwas zurückhaltender zu sein gedachten.
Ganz böse: weiße T-Shirts! Schlimm daran? Ich LIEBE weiße Shirts! Ich ziehe sie also trotzdem an, ohne BH. Doch irgendwie höre ich die Stimme meines Mannes immer wieder hallend in meinem Kopf und es fühlt sich für mich seitdem so an, als würde jeder Mensch, ob Weiblein oder Männlein, magisch von meinen Brüsten angezogen, denn jedes Augenpaar wandert dorthin.
Manchmal ziehe ich also darunter ein zweites Shirt an, fühle mich frei und bleibe dennoch (zumindest irgendwie) meinem Bedürfnis treu. Andere Male überlege ich hingegen vorerst, ob das Ereignis für Brüste angebracht sei und ob ich auf Menschen treffen könnte, denen ich meine Brustwarzen lieber nicht zeigen möchte, meinem Ex z.B… Hingegen an meinen besonders „rebellischen“ Tagen, an denen lass ich sie ziehen, wohin sie wollen und spaziere BH-los durch die Stadt, stolzen Hauptes (und Brüsten). Und es fühlt sich großartig an!
Warum? Weil es MEIN Körper ist. Weil ich eine selbstbestimmte Frau sein möchte. Weil ich, nur ich selbst, entscheiden möchte, ob und was ich über meinen Busen lege. Weil meine Tochter schon in der Volksschule lernt, was eine Körpergrenze ist. Und weil ich finde, dass die Körpergrenze bereits dort beginnt, wo ich mir Gedanken über meine Kleidung machen muss…
Weil es MEIN Körper ist!
Irgendwo las ich einst, dass der Zustand des Nichttragens eines Büstenhalters, die Straffung des Gewebes fördern soll und die beiden lernen würden, wieder „von alleine oben zu bleiben“. Kurz darauf fand ich schon eine Gegenstudie. Meinen Mann ließ ich jedoch im Glauben an ersteres, der findet es seitdem ganz klasse!
Nun denn, ein letztes sei gesagt: Ein Hoch auf unsere wunderbaren Brüste, meine Damen, ob im sicheren Wiegen eines BH`s oder freischaukelnd unterm weißen T-Shirt!
Übrigens: Auf die Juwelen meines oder die eines anderen Mannes, schaue ich nie, ob es nun an der Perspektive oder der Sexualisierung des weiblichen Körpers liegt, bewahre ich für eine nächste Ausgabe auf.
2 comments
Ich bin erst seit heute dabei und am Lesen!
DANKE ihr lieben Frauen, Mütter, Freundinnen, Rebellinen und Wachmacher. Ich fühle mich durch eure Worte und Gedanken beschenkt und bestärkt auf mich und meine innere Stimme zu hören und mich ‚gut sein lassen zu können‘!!
Das Leben ist wundervoll weil ich es liebe!
Birgit
Vielen Dank, liebe Birgit! Es ist so schön, dass du da bist!