Du freie Wildblüte, die du hier bist und meine Worte liest. Selten war das Thema des „so-sein-wie-frau-ist“, des „zu-sich-stehen“ und des „an-sich-glauben“ so groß geschrieben wie zu den letzten Zeiten. Und das ist so so unendlich wichtig. Doch mir scheint eine Eigenschaft, eine Tätigkeit unserer Spezies, dem Ganzen im Wege zu stehen. Das Lästern.
Definition per Duden – LÄSTERN: sich über jemanden [der abwesend ist], über etwas abfällig, mit kritischen oder ein wenig boshaften Kommentaren äußern
So höre ich schon mancher Zeiten:
„Hast du gesehen, was die heute wieder anhatte? Dass die sich überhaupt sowas traut…?“
„Ich glaube ja, dass sie ihr Kind überhaupt nicht im Griff hat… Also ICH würde ja…“
„Ich hab neulich gehört, wie sie und ihr Mann lauthals diskutiert haben, da scheint ja nicht alles so rosig zu sein…“ – Bestenfalls noch mit einem „Hihi“ hinterher.
Wenn du also dieses Zucken des Mundwinkels in deinem Gegenüber siehst, dieses Zittern der Augenlider, das Sammeln des Sabbers im Munde, das schnelle Pulsieren des Herzens und diesen altbekannten Flüsterton. Dann ist Lästern meist nicht mehr einzubremsen…
Dabei, seien wir doch mal ehrlich: Wir würden sämtliches (eigentlich alles) genauso „unperfekt“ erledigen. Genauso haben wir Schwierigkeiten zuhause, machen „Fehler“ in der Erziehung. Unsere Ehe wird vielleicht nicht immer glücklich sein, unser Mittagessen nicht zu 100 Prozent vegan, gesund, biologisch und regional. Meine Wäsche ist nicht immer faltenfrei gebügelt (Pssst, ich bügle meine Wäsche gar nicht, OMG), ebenso meine Ausdrucksweise nicht immer edel elegant. Dies ist wohl auch der Grund, warum die da hinter mir, vermutlich gerade meinen Namen flüstert…
Aber kommen wir mal zum Ursprung des Lästerns. Warum lästern wir? Warum scheint es uns dahingehend zu treiben, anderen übel nachzureden, uns über sie zu stellen.
Bleiben wir mal psychologisch wissenschaftlich: Mit anderen zu lästern, erteilt uns ein Gemeinschaftsgefühl. Wir gehören mit unseren Lästergefährt:innen zusammen, schotten uns von den Nichtlästerer:innen ab, definieren für uns, wer zu unserer Gang dazugehört und wer nicht, grenzen andere aus. Das klingt jetzt alles ganz schön fies und brutal, aber tatsächlich gibt uns das Abgrenzen anderer sozialisationstechnisch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit.
Psycholog:innen stellten in einer Studie an der Stanford Universität gar fest, dass der Puls von Menschen, die eine Normabweichung feststellen, also ein Verhalten, das nicht gesellschaftlicher Normen und Werten angepasst ist, deutlich steigt. Können sie dies aber anderen erzählen, demnach mit anderen darüber lästern, sinkt ihr Puls wieder. Lästern beruhigt und stellt innerhalb einer Gemeinschaft wieder innere Harmonie her.
Zudem: Als Individuum kann es ganz schön einsam sein, in der manchmal so kargen Welt da draußen, also holt man und frau sich Mitkämpfer:innen, um sich im WIR zu fühlen… Schon mal auch, egal um welchen Preis… Denn: Durch andere Lästermäulchen geschützt zu werden, vermittelt (vorübergehend) ein wohliges Gefühl, in etwa bis du dich umdrehst und das mindestens genauso schaurige Gefühl in dir aufsteigt, während du hinter dir das Flüstern deines eigenen Namens gehört haben sollst. Vielleicht sitzt schließlich deine Frisur nicht richtig?
Uuuund, nicht zu unterschätzen, hat das Lästern auch was von Ablenkung. Wir lenken von unseren eigenen Lasten ab und sprechen über die der anderen (Last > lästern, du verstehst mich?). Ganz schön praktisch, wenn man sich so die eigenen Unfeinheiten nicht vor Augen halten muss, nicht wahr?
Ich kann dir aber eines erzählen: So sehr wir vielleicht Gemeinschaft durch das Bewerten und Abwerten unserer vorbeilaufenden Mitmenschen für kurze Zeit zu verspüren vermögen, ich habe vielmehr Support erleben dürfen, als ich einfach so einem Menschen ein Kompliment machte. So lässt ein: „Wow, hast du eine tolle Frisur!“, so viel mehr Pochen im Brustkorb aufdonnern und ein so deutlich positiveres Lächeln ins Gesicht zaubern als ein: „Hast du die Frisur dieser anderen gesehen?“
Was meinst du?
Liebe Wildblüte: Gemeinschaft geht auch ganz ohne Lästern, ohne Konkurrenz, ohne Ablenkung eigener Missstände. Im Gegenteil: WAHRHAFTIGE Gemeinschaft entsteht, wenn frau sich öffnet, samt Verunsicherungen, Schamgefühlen, Verletzlichkeit, Echtheit. Ganz ohne boshafter Mundart, Kopfschütteln, Fingerzeigen und abwertendem Augenrollen…
Gemeinschaft durch ehrliches Lachen, liebevolle Worte – die Melodien in den Ohren ertönen lassen – und Zusammenhalt, ganz ohne schmerzhafte Abgrenzung… Das alles gibt es, lass uns dafür einstehen, lass uns nach links und rechts nur für Inspirationen blicken und nicht für Neid von schwitzenden Lästermäulchen…
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