Jubeltage
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Der englische Garten meiner Vulva

Samstagabend. Vor etwas mehr als zwanzig Jahren. Gelangweilt schaute ich mit meiner Tante einen Film. Und ohne lange nachzudenken, zwirbelte ich minutenlang an einem Haar herum. Unter meiner rechten Achsel. Und plötzlich schoss es wie ein Blitz durch meinen Körper. Das Haar war fest verwurzelt! Ich zwirbelte nicht etwa an einem abgefallenen, zufällig in meiner Achselhöhle gelandeten, Kopfhaar herum. Nein! Es war mein allererstes, meine absolute Nummer eins aller weiteren, wachsenden Achselhärchen.

Meine Tante wollte es zunächst kaum glauben, als ich kreischend durch die gute Stube sprang, bis wir begannen, stolz und neugierig, meine Achselhöhlen zu erkunden und schließlich feststellten: Es war soweit – Ich wurde zur jungen Frau. Mein einsames Härchen erhielt peu à peu nicht wenige Nachbarn und musste ab nun nicht mehr einsam auf seiner Insel sein. Meine Beine wurden ebenso immer dunkler und was noch? Ahja, meine Vulva. Oben, unten und drumherum zogen allmählich immer mehr neue Einwohner ein, bis ich, als dunkle Italienerin, meine Genitalien vollkommen unter pelzigem Gebüsch verstecken konnte.

Es war soweit – Ich wurde zur jungen Frau.

Mich immer mehr entfernend von der Utopie, dass dies was Schönes sei, hörte ich mehr und mehr meiner Freundinnen, darüber berichten, dass sich die Haare unter den Achseln, an den Schenkeln und der Mumu nicht gehörten und – HÖRT HÖRT, den Jungs nicht gefallen würden!

So begrüßte mich also der Augenblick der Scham. Ich begann, mich zu hinterfragen. Zu grübeln, ob ich mich nun denn rasieren sollte und wenn ja, wie? Ganz? Halb? Dreiviertel? Oder doch gar nicht? Regelrechte Muster kamen manchen in den Sinn. Einige rasierten sich ja vom kleinen Zeh bis zum Kinn. Und weiter oben wurden auch noch fleißig die Brauen gezupft. Eine zeitlang ebenso komplett. Zick zack und Haare ab, um sich stattdessen mit einem schwarzen Stift wiederum eine Linie zu ziehen. Meine Cousine zum Beispiel. Schlief ich mit ihr im Zimmer, durfte ich sie morgens nicht ansehen! Ich musste mir die Augen verdecken, da sie sich oberhalb ihres Sehorgans nackig nicht zeigen wollte. Oooook.

Aber zurück zur Vulva. Nach meinen Volleyballmatches, mit mittlerweile fünfzehn Jahren, verdeckte ich mich untenrum, bis ich direkt unter dem Wasser stand, um mich gleich danach, als der letzte Tropfen aus dem Duschkopf fiel und meine Haut berührte, wieder damit zu umhüllen. Keine meiner Mitspielerinnen sollte auch nur annähernd erblicken können, dass ich da unten, oberhalb meiner Höhle, unrasiert war. Grotesk, nicht wahr? Kurz davor voller Euphorie, nun voller Unsicherheit und Schamgefühl…

Es gab also nun komplettes Chaos in der Verbindung meiner Synapsen. In der Bravo suchte ich, nahezu verzweifelt und sowieso tief pubertierend, verunsichert und hormonell auf den Kopf gestellt, nach Antworten und Hinweisen. Im Bekanntenkreis niemand, der mir zur Rede und Antwort stand. Ich filterte allerdings mit der Zeit, allein gelassen mit meinem absurden (aber völlig gerechtfertigten) Gedankenchaos, verschiedene Lager der IntimFRISUR heraus.

Es gab die Streifenhörnchen. Schön akkurat gezogene Linien, mal breiter, mal schmaler in ihrer Flächengröße. Parallel und erstaunlich gerade skizziert. Nicht schlecht, dachte ich. Probierte es aus und ließ es kurz gelten. Als es allerdings begann zu jucken, da die abrasierten Haare ja nicht ewig im Exil bleiben, war es um mich geschehen.

Also doch nochmal eine Nacht drüberschlafen…

Dann gab es die komplett nacktrasierten. Mädels, ich konnte nach nur wenigen Tagen der Entwurzelung und somit dem Ende des Seins meiner Intimhaare, kaum noch gehen, ohne, dass die Stoppeln mit mir zu kommunizieren versuchten – ein Horrortrip!

Also ließ ich mal wieder den Busch sprießen. Und schämte mich weiter.

Meine Beine und meine Achselhöhlen konnte ich fein abrasieren, aber mein Intimbereich war nicht an einer gemeinsamen Lösung interessiert. Doch dann hatte ich eine zündende Eingebung: Ich nahm einen elektrischen Bartrasierer und näherte mich langsam und ohne auch nur einen Hauch des Atmens, meiner Vulva und formte die Rasur meines Lebens. Eine Kosmetikerin meines Bekanntenkreises nennt es den englischen Garten! Sie meint, es müsse ja kein wildgewachsener Dschungel sein, aber ein gepflegter englischer Garten sei durchaus fein. Also leicht gekürzt, wohl geformt, doch durchaus vorhanden, ohne Schnittverletzungen oder anderen möglichen Gefahren. Ach, welch Erleichterung, sag ich euch!

Warum heißt es auch heute noch „Schambehaarung“? Warum sollten wir uns dafür schämen?

Mein Teenager – Ich sprang in die Lüfte, verlor jegliche Last von den Schultern, ging stolzen Hauptes nach sämtlichen Matches unter die Dusche und schloss Frieden mit seiner Behaarung.

Aber sagt mir mal eins: Warum heißt es auch heute noch „Schambehaarung“? Warum sollten wir uns dafür schämen? Warum machen wir Frauen uns Gedanken darüber, ob und wie wir uns rasieren „sollten“? Warum sollten wir uns auch nur eine Millisekunde überlegen, ob unser Gegenüber darauf Wert legt? Ich meine, der oder die wird schon trotzdem den Weg finden, wohin er oder sie will! Er oder sie wird schon nicht im Busch verloren gehen, nehme ich an. Er oder sie wird auch nicht auf eventuellem Glatteis ausrutschen. Oder den Steg verpassen?!

Stehst du also vor dem Spiegel, schaust DU nur DICH an. Niemand anderen. Und du sollst die Haare da haben, wo DU, nur DU, sie haben magst. Wo nicht, eben weg damit. Ganz, halb oder gar nicht.

Steht wer anderes vor dir, da unten, wird er sich schon nicht verirren.

Ansonsten, kann er sich gerne eine andere Landebahn suchen.

Fotos: Matiphotography 

Den Artikel von Claudia Contu gibt es auch zum Hören

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4 comments

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Jana Schumacher 18. November 2020 at 9:23

So schön geschrieben, ich konnte mich sehr wiederfinden. Am schönsten finde ich „Haare, wo du sie haben magst“. Für mich persönlich heißt das auch „wann ich sie haben mag“. Im Sommer mähe ich den Garten gerne öfters, jetzt kurz vor‘m Winter werde ich da nachlässiger (oder entspannter?), aber immer so, wie ICH mag. Nur eines bleibt seit einigen Jahren gleich – sie müssen so kurz sein, dass ich die Kaiserschnittnarbe sehen kann. Denn die gehört mittlerweile auch dazu, und auch wenn ich sie nie wollte ist sie doch ein wichtiger Teil geworden…

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Marie Tiller 27. November 2020 at 11:09

Wundervoll, danke für den tollen Beitrag. Als Jugendliche hätte ich genau so was gebraucht! Ich kann mich gar nicht mehr genau erinnern, wann bei mir das Haarwachstum begonnen hat und auch nicht, dass ich es toll gefunden hätte. Das fand ich sehr erfrischend bei dir beim lesen! Die Scham hat mich auch sehr lange begleitet und ich dachte lange, lange ich müsste glatt rasiert sein, sonst würde es ein Mann ekelig finden. Aus heutiger Sicht total verrückt! Zum Glück!

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Karin Graf-Kaplaner | Jubeltage 10. Dezember 2020 at 12:56

Das freut uns so sehr, liebe Marie!!

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Tanja Engert 5. Mai 2021 at 5:52

So schön geschrieben. am besten ist der Satz: Er oder sie wird schon nicht im Busch verloren gehen… DANKE, für diesen Beitrag.

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